Erfahrung |
Jung ist nicht gleich unerfahren
Ich bin Ende zwanzig, habe vor rund vier Jahren mein Studium abgeschlossen und arbeite seither Vollzeit in einem Unternehmen. Mein etwas jüngeres Aussehen scheint bei vielen automatisch mit Unerfahrenheit, mangelndem Wissen oder fehlender Kompetenz gleichgesetzt zu werden. Das passiert sicher nicht aus böser Absicht, aber es wirkt sich doch auf meinen Berufsalltag aus. Oft habe ich zum Beispiel das Gefühl, mich stärker engagieren zu müssen als andere im Team. Einfach, um zu zeigen, dass ich genauso viel kann, da die Erwartungshaltung gegenteilig ist. Und manchmal, wenn ich mich besonders reinhänge, wird mein Engagement als „jugendlicher Übereifer“ abgetan. Das frustriert, vor allem wenn es von Kolleginnen oder auch von Kunden kommt, die mich unterschätzen.
Ein Beispiel, das mir im Gedächtnis geblieben ist: Ich hatte über mehrere Wochen mit zwei Kundinnen zu tun, mit denen die Zusammenarbeit richtig gut lief. Und es gab viel Lob und Wertschätzung für meine Arbeit. Bei unserem letzten Treffen kam dann plötzlich die Frage auf, wann ich denn mein Studium abschliessen würde. Mir wurde in diesem Moment klar, dass sie die ganze Zeit davon ausgegangen waren, ich sei noch gar nicht richtig im Berufsleben angekommen. Irgendwie hat mich das irritiert. Denn das Lob, das ich erhalten hatte, fühlte sich plötzlich anders an.
Gleichzeitig merke ich auch, dass solche Annahmen nicht nur belastend sind, sondern manchmal auch entlastend wirken. Wenn mir weniger zugetraut wird, sind die Erwartungen oft geringer. Es ist paradox: Ich ärgere mich über die Vorurteile, aber manchmal nutze ich sie auch unbewusst für mich. Wenn ich spüre, dass ich als „jung und unerfahren“ gesehen werde, nehme ich diese Rolle gelegentlich sogar ein Stück weit an. Vielleicht, weil es leichter ist, niedrige Erwartungen zu übertreffen, als hohe zu erfüllen.
Trotzdem wünsche ich mir: Menschen sollten weder auf ihr Alter noch auf ihr Aussehen reduziert werden. Und Alter (egal ob jung oder alt) sollte kein Massstab dafür sein, was jemand leisten oder wissen kann.